Andacht am 1. Sonntag nach Trinitatis, 14.06.2020

Nachricht 12. Juni 2020

Gebet zum Tag

Gott, du bist verborgen vor unseren Augen, und doch gehst du an unserer Seite. Da, wo uns unser Weg dunkel erscheint, begleitest du uns auf Schritt und Tritt. Wo wir nicht weiterwissen, willst du uns weitertragen.

Wir bitten dich, stärke unsere Fähigkeit zum Mitgehen, zum Mittragen und Mitteilen, damit wir einander Stütze und Halt werden und bleiben. Sei du heute mitten unter uns und segne unser Miteinander. Amen.

 

Gedanken zu dem Lied „Von wunderbaren Mächten“ (D. Bonhoeffer)

(Von Katrin Hartmann nach einer Idee von Mark Trebing)

 

Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg.

Herr, segne dein Wort an uns allen. Amen.

 

Dietrich Bonhoeffer (1906-45), deutscher evangelisch-lutherischer Theologe

Liebe Gemeinde,

stellen wir uns vor: Ein Mann sitzt im Gefängnis. Er muss vieles über sich ergehen lassen, ist Qualen ausgesetzt: Verhöre, Schläge, Hunger und Einsamkeit. Kein Kontakt zu der Familie, kein Besuch, kein Anruf, völlige Abschottung. So wird es Dietrich Bonhoeffer ergangen sein, als er das Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen …“ schrieb, das dann später auch vertont wurde.

Mich berührt dabei seine Entstehung. Bonhoeffer hat es im Dezember 1944 im Gefängnis geschrieben. Es ist der Weihnachts-brief an seine Braut und seine Familie. Da saß er schon seit zwei Jahren in Haft, weil er sich gegen den nationalsozialistischen Staat aufgelehnt hatte. Er war aktiv in der verbotenen Bekennenden Kirche und er wusste, dass er nicht mehr mit seiner Freilassung rechnen konnte. Doch er wusste sich in der Einsamkeit seiner Zelle nicht allein gelassen, sondern von Gottes guten Mächten umgeben. In Gott sind ihm seine Braut, seine Familie, seine Freunde ganz nahe. Gottes gute Mächte trösten ihn, denn sie sind seine einzige Verbindung zur Außenwelt.

Und mit diesem Trost beginnt Bonhoeffer sein Gedicht:

Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Es folgt ein langes Gebet:

Noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage Last. Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Bonhoeffer ist erschrocken über das, was passiert ist. Das Alte quält seine Seele. Seine Verhaftung im April 1943, die Zeit in verschiedenen Gefängnissen, der fehlgeschlagene Anschlag auf Hitler am 20. Juli 1944. Aber auch das Elend der Ausgebombten, die vielen Verluste an der Front. Jedoch – Gott ist nicht für all diese Schrecken verantwortlich. Er hat uns zwar zum Heil geschaffen, aber er ist uns das Heil nicht schuldig.

Es liegt auch in unserer eigenen Verantwortung, was passiert. Wir müssen mit unserem Leben und unserer Welt verantwortungsbewusst umgehen.

Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern, des Leids gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand.

Gottes Heil bewahrt uns nicht vor Leid und Kummer, es bewahrt uns auch nicht vor dem Tod. Gott ist nicht der Glücksbringer, der alles Leid von uns nimmt und uns das Paradies auf Erden schenkt. Das mussten wir in den letzten Wochen erfahren. Die Corona-Pandemie hat uns das Leben, das wir kannten, genommen. Auch wenn wir nicht eingesperrt waren, hat uns das Virus unser Zusammensein genommen. Und auch der Tod ist uns nicht erspart geblieben.

Aber eins hat mir in dieser Zeit Kraft gegeben. Der Glaube an Gott. Und wenn ich sehe, höre und lese, was in dieser Zeit von vielen Seiten über die unterschiedlichsten Medien an Gebeten, Liedern und Texten weitergegeben wurde, dann weiß ich, ich war und bin nicht allein. Viele sind in dieser Zeit auf der Suche nach Gott. Und wir dürfen sicher sein, dass Gott in dieser schweren Zeit da ist und uns in unserer Not begleitet. Er schenkt uns immer wieder Kraft und Durchhaltevermögen.

Doch willst du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz, dann wolln wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört dir unser Leben ganz.

Bonhoeffer verliert trotz seiner schweren Lage die Freude nicht aus den Augen. Sie ist auch in schweren Tagen erlaubt. Denn Leid bedeutet ja nicht, vor der Freude zu fliehen. Ich habe eine schwerkranke Frau vor Augen, die keine Perspektive mehr hat. Und trotzdem ist sie auch fröhlich. Sie kann sich an den kleinen Dingen erfreuen: An einer Blume, einem netten Wort, an der Zeit, die man ihr schenkt.

Bonhoeffer spricht von der „Sonne Glanz“. Er freut sich an allem, was er auf dieser Welt sieht. Er kann das Schöne der Welt genießen, sich zurücklehnen und in Träume fallen. Er hat Szenen aus seinem Leben vor Augen und kommt zu dem Schluss, dass Gott ihm immer ganz nahe war. Seine guten Mächte haben ihn immer getröstet.

Lass warm und hell die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen. Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

Auch im Gefängnis wird es nicht dunkel um Bonhoeffer. In seinen Gedanken ist er mit seiner Familie fest verbunden. Durch sie hat auch er seinen Anteil an den Kerzen von Weihnachten. Und dennoch – es bleibt die Sehnsucht, das Heimweh.

Führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen. Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all deiner Kinder hohen Lobgesang.

In seiner Zelle ist es still und einsam. Er träumt vom Lobgesang der unsichtbaren Welt. Alle seine Sehn-süchte und Wünsche werden hinein genommen in die Gemeinschaft aller Kinder Gottes.

Am Ende des Gebets folgt das Bekenntnis eines Menschen, der die Tage der schrecklichen Verhöre, die quälende Sehnsucht nach seiner Familie, die Angst um ihr Leben und den eigenen Tod vor Augen hat. Trotz dieser Angst und Ungewissheit schließt Bonhoeffer im festen Glauben:

Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Die Verheißung: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“, sie gilt auch für ihn. Jeden Tag.

Eine solche Glaubensgewissheit wünsche ich mir. Ich möchte sagen können: Gott hat mich immer begleitet. Vor allen Dingen auch dann, wenn es mir nicht gut ging. Sich der guten Mächte sicher zu sein, wenn alles so läuft, wie ich mir das wünsche, das ist nicht so schwer. Aber wenn es nicht alles so läuft, wenn ich nicht mehr weiter weiß, wenn das Gefühl mich beschleicht, alles läuft schief, dann brauche ich die guten Mächte. Dietrich Bonhoeffer beschreibt sie in einem Brief an seine Verlobte so:

Du, die Eltern, ihr alle, die Freunde und meine Studenten an der Front, sie alle sind für mich stets gegenwärtig. Deine Gebete, gute Gedanken, Worte aus der Bibel, längst vergangene Gespräche, Musikstücke und Bücher, das alles gewinnt Leben und Realität wie nie zuvor.

Ich denke, jede und jeder von uns könnte diese Liste für sich noch fortsetzen. Wir blicken in eine Zukunft, von der keiner sagen kann, was sie uns bringen wird. Wird es einen Impfstoff, ein Medikament geben, das das Virus besiegen kann? Wird sich unsere Wirtschaft wieder erholen? Ich glaube, dass wir einiges neu oder wiederentdeckt haben, das auf jeden Fall Spuren hinterlassen wird: Die Solidarität, die Hilfsbereitschaft untereinander. Vielleicht wird auch in vielen Familien das Miteinander, das bestimmt nicht immer einfach war und ist, in der Zukunft einen anderen, höheren Stellenwert bekommen. Und darum wünsche ich Ihnen und mir die Gewissheit Bonhoeffers: Gottes gute Mächte werden uns begleiten und tragen.

Bonhoeffer schaut mit dem Gedicht auf sein Leben und zieht den Schluss, dass Gottes gute Mächte ihn immer begleitet haben. Ich wünsche uns allen, dass auch wir zurückblicken und sagen können, Gottes gute Mächte haben auch uns durch alle Zeiten, gute und schwere, getragen.

Amen.

Sonntagsmusik aus Northeim für Sonntag, 14. Juni 2020

Heinrich Scheidemann: Praeambulum d

Katrin Hartmann

Lektorin der Kirchengemeinde Vogelbeck