IV. Die Geschichte geht weiter
Und damit sind wir bei uns heute angekommen – und was wir mit dieser Geschichte anfangen.
Es gibt zwei Wege, zwei Möglichkeiten, den Bericht von der Heilung des Taubstummen zu lesen. Die eine ist, es „historisch“ zu betrachten: als eine im Evangelium bezeugte Geschichte eines Ereignisses der Vergangenheit – eine Begebenheit, die man wahlweise gläubig oder ungläubig, erstaunt oder gelangweilt zur Kenntnis nehmen kann. Aber das hat dann nichts mit uns, nichts mit unserem Heute zu tun. Und niemand wird in lauten Jubel ausbrechen wollen: „Er hat alles wohl gemacht!“
Die andere Möglichkeit ist die, dieses Wunder von unserem Heute aus zu verstehen – als eine Geschichte, die noch nicht zu Ende ist, die einmal begonnen hat und bis in unsere Gegenwart reicht. Als etwas, das sich wiederholen kann, weil dieser Jesus lebendig ist, von den Toten auferstanden, derselbe ist auch heute. Und weil uns das Evangelium einlädt, ins Staunen zu kommen über Gott und mit in den Jubel einzustimmen über Gottes Wirken in unserem Leben – heute.
Wie aber kann das geschehen? Wie kann das geschehen, was uns alle ins Staunen versetzt: ein Wunder. Das Wunder, nach dem wir uns alle sehnen:
Dass die Dürre ein Ende hat, es wieder normal regnet und die geschundene Natur sich langsam von dem zu erholen beginnt, was wir ihr täglich antun.
Dass die Waffen schweigen: in der Ukraine und all den anderen Schauplätzen von Krieg, Gewalt und Terror.
Dass wir eines Tages aufwachen in einer Welt ohne Angst und Hass und Lügen und Unrecht.
Ein Wunder. Wie kann es zu uns kommen?
Kann es sein, dass wir, die wir doch Ohren haben zu hören und viele Worte machen, doch viel mehr dem Tauben in unserer Geschichte gleichen, als es uns bewusst ist? Wir sind es, die taub sind. Ich bin der Taube aus der Geschichte!
Angesichts der zahllosen Krisen und Katastrophen unserer Tage beobachte ich, wie es mir die Sprache verschlägt und ich verstumme. Was soll ich dazu sagen? Es sieht nicht gut aus. Der Ausblick auf die Zukunft verdüstert sich zunehmend und macht mich ratlos.
Und wenn ich dann doch den Mund aufmache, ist es hilfloses Gestammel. Und vieles von dem, was anderen dazu einfällt, ist oftmals nur: hilfloses Gestammel.
Sehen und nicht verstehen. Alles mit eigenen Augen sehen, aber es macht keinen Sinn! Welchen Sinn macht der Klimawandel? Oder der Krieg in der Ukraine? Die drohenden Hungersnöte und Flüchtlingswellen? Die immer größer werdenden Risse und Spaltungen in der Gesellschaft? Die wachsende Ungleichheit und Ungerechtigkeit in unserem Land und global?
Und dann sind da vielleicht noch die anderen, die ganz persönlichen Krisen im Privaten, die einen genauso rat- und sprachlos machen…
Entscheidend ist jedoch nicht, was wir sagen. Entscheidend ist, was wir hören. Entscheidend ist das eine Wort, das uns herausreißt aus aller Angst oder Mutlosigkeit oder Trägheit – und offen macht, für das Leben. Für die Zukunft, Gottes Zukunft.
Dein Reich komme! Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden!
Darum beten wir doch! Und es soll zu uns kommen, in diese Welt: Gottes Reich. Sein Wille soll unter uns geschehen, mit uns, durch uns!
Ich wünsche uns, dass Christus sein Hefata! ganz neu in unser Leben spricht: Sei offen und befreit! Und wir beginnen zu hören, wie wir noch nie gehört haben. Und auf einmal lösen sich die Fesseln – alles, was uns gefangen hält, uns zurückhält hat das Leben zu leben, zu dem Gott uns gerufen hat.
Und ich wünsche uns, dass Gott uns befreit zum Staunen, wie er inmitten aller Krisen und Nöte zu uns Menschen kommt, sein Reich zu bauen, und sein guter Wille unter uns geschieht. Und sich fortsetzt, was damals begonnen hat: Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.
Amen.