Doppelt fruchtbar?

Predigt am Erntedankfest 2018 in Langenholtensen über Hosea 11,3

Ich hatte Ephraim laufen gelehrt und sie auf meine Arme genommen. Aber sie merkten nicht, dass ich sie heilte.

Unsere Enkelin Klara hat gerade laufen gelernt. Erst stand sie ohne sich festzuhalten. Lief ein paar Schrittchen an der Hand ihrer Mama oder ihres Papas. Die mussten eigentlich nur aufpassen, dass sie nicht irgendwelche Treppen runterfiel. Dann die ersten eigenen Schritte, zögernd, torkelnd und sehr putzig anzusehen. Wenn sie hinfiel und sich wehtat, nahm ihre Mama sie auf den Arm und tröstete sie.

Ich hatte Ephraim laufen gelehrt und sie auf meine Arme genommen, sagt Gott zum Propheten Hosea. Ephraim, damit waren die Menschen  im nördlichen Teil Israels gemeint. Der Name bedeutet: doppelt fruchtbar. Große Hoffnungen waren also damit verbunden. Aber Ephraim war nicht fruchtbar. Sie waren verdorrt, wie in diesem Sommer unsere Felder. Alles braun und kahl. Kein Wasser. Der Boden ist viel zu hart um die Rüben zu hacken, sagten mir die Landfrauen, man kriegt sie einfach nicht gerodet. Für die Landwirte, die Tiere halten, ist die Lage ganz dramatisch, das Futter wird extrem teuer, denn es ist auch keine Zwischenfrucht gewachsen. Mancherorts werden Kühe geschlachtet, die Butterpreise steigen. Man konnte in diesem Jahr nur ein Mal mähen statt sonst drei mal. Die Dürre war einfach extrem.

Dürre auch in eurer Beziehung zu Gott, sagt der Prophet Hosea seinen Zeitgenossen. Doppelt fruchtbar? Nein, Ephraim war noch nicht mal einfach fruchtbar. Sie waren in Gottes Augen eine Enttäuschung. Von ihm, der Quelle lebendigen Wassers, hatten sie sich abgewandt. Und so verdorrte ihr Gottvertrauen, ihre Liebe, ihre Barmherzigkeit. Sie kamen nicht mit Gott klar, und sie kamen nicht mit ihren Mitmenschen klar. Sie waren hochnäsig und fingen ständig Streit an. Es ging nur um ihr eigenes Ego. Gott ist traurig, er hat so viel Liebe und Fürsorge in sie reingesteckt. Er hat sich echt um sie gekümmert, sie bewahrt, ihnen so oft geholfen. Und nun muss er frustriert feststellen: Sie merkten nicht, dass ich sie heilte.

Manchmal ist das so: Die Menschen, mit denen man am meisten Arbeit hatte, sind am undankbarsten. Die Patienten, um die man sich am intensivsten gekümmert hat, wechseln den Arzt. Die Mitarbeiter, denen man in größter persönlicher Not beigestanden hat, fallen einem in den Rücken. Die Freundin, der man wieder und wieder das Ohr geliehen hat, lästert vor anderen über einen ab. Das ist bitter und tut weh.

Sie merkten nicht, dass ich sie heilte. Sie schrieben alles sich selber zu, ihren Erfolg, ihre Gesundheit, ihr familiäres Glück. So wie der reiche Bauer, von dem Jesus erzählt. Er weiß gar nicht, wo er seine ganze Ernte unterbringen soll. Von Danken ist keine Rede, er sieht es ausschließlich als seine Leistung, seine Arbeitskraft.

Sie kennen ja vielleicht die Anekdote: Ein Pastor geht an fruchtbaren Feld vorbei und sagt zu dem Bauern: Es ist doch großartig, was Gott und Sie aus diesem Acker gemacht haben. Und der Bauer antwortet: Na ja, Sie hätten ihn mal sehen sollen, als Gott ihn alleine bewirtschaftet hat.

Schlagfertig, witzig, ja. Aber ich höre auch die Einstellung des reichen Kornbauern da heraus: Ich bin es, der das alles zuwege gebracht hat. Und so richtet der reiche Kornbauer seine Gedanken auch nur darauf, wie er weiter investieren kann: Was soll ich jetzt tun? Ich weiß gar nicht, wo ich das alles unterbringen soll. Ich hab’s! Ich reiße meine Scheunen ab und baue größere. Dann kann ich das ganze Getreide und meine Vorräte dort unterbringen und kann zu mir selbst sagen: Gut gemacht! Jetzt bist du für viele Jahre versorgt. – Und Gott sagt zu ihm: Du bist ein Idiot. Was nützt dir dein Besitz, wenn du stirbst? Das letzte Hemd hat keine Taschen, sagte meine Oma. Was nützt euch euer Besitz auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen – oder die nächste Bankenpleite. Sammelt euch Schätze im Himmel sagt Jesus, die werden nicht beim nächsten Börsencrash mit vernichtet.

Sie merkten nicht, dass ich sie heilte. Sie sehen alles als ihr eigenes Werk an. Es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott? Weit gefehlt! Viele denken doch: Es geht durch unsre Hände, und kommt auch her von uns! Nur wenn dann irgendwann etwas nicht mehr rund läuft, ein Kind schwer krank wird, der Partner sich trennt, es bei der Arbeit Schwierigkeiten gibt – dann fragt man auf einmal: Wie konnte Gott das zulassen?

Wo hat Gott dich geheilt, ohne dass du es merktest? Wo hat Gott dich aufgehoben, wenn du gefallen bist, dich auf die Arme genommen?

Beim Nachdenken mit den Landfrauen ist uns einiges eingefallen, wo Gott uns versorgt. Hungern muss bei uns sowieso keiner, trotz Dürre, sagten sie. Und an Obst herrschte überhaupt kein Mangel, Äpfel, Zwetschen, Nüsse gibt es dies Jahr überaus reichlich. Und überhaupt haben wir für vieles zu danken, sagten die Landfrauen. Danken, meinten sie, können wir auch für Dinge, die uns auf den ersten Blick nicht positiv erscheinen: Eine Prüfung, durch die du durchfällst. Vielleicht zeigt es dir: Du sollst eine andere Richtung einschlagen. Ein Streit – vielleicht wird dadurch etwas geklärt, was schon lange im Untergrund brodelte. Ein Sterbefall nach langer Krankheit: Wir können doch dankbar sein, wenn jemand dann erlöst wird und heimgeht zu seinem himmlischen Vater.

Danken setzt neues Denken frei. Wir können auch danken für die Trockenheit, sagten die Landfrauen, nämlich für den Weckruf, der darin steckt: Vielleicht werden wir endlich mal aufmerksamer für unsere Umwelt. Benutzen keine Plastiktüten mehr und kaufen nicht beim Discounter, sondern bei einheimischen Erzeugern. Fahren mit dem Fahrrad statt jeden Schritt mit dem Auto und reduzieren unseren Fleischkonsum. Danken führt zu Umdenken und zu verändertem Handeln. Hast du schon einmal gedankt, dass du in einem der reichsten Länder der Erde lebst? Wo du dir nie Gedanken darüber machen musst, ob morgen was auf den Teller kommt, sondern allenfalls darüber, wie du weniger isst um abzunehmen? Und dann regen wir uns auf über "Wirtschaftsflüchtlinge" aus Ländern, wo Kinder verhungern? Gott versorgt uns hier in Deutschland überreich – aber bestimmt nicht dafür, dass wir Besitz anhäufen und Erbe für unsere Kinder und Enkel. Sondern damit wir unser Herz öffnen für die Armen und teilen.

Ephraim – doppelt fruchtbar: Das ist doch nicht eine Forderung Gottes, sondern ein Versprechen: Wenn du dich von Gott leiten lässt, an seiner Hand wird dein Leben fruchtbar. Erfüllt mit Sinn. Du tust etwas für andere und merkst, wie dich das glücklich macht, bereichert. Du versöhnst dich mit einem Widersacher und hast endlich inneren Frieden. Du spendest Geld für ein Patenkind in Tansania, und das Geld fehlt dir überhaupt nicht. Stattdessen erlebst du mit, wie es den Schulabschluss schafft, eine Ausbildung macht und seinem Land etwas zurückgibt von dem, was du gespendet hast. Wie viel mehr ist das wert als die 30 Euro, die das jeden Monat kostet.

Du denkst jetzt vielleicht: Mein Kind ist so schwierig - wir schaffen es nicht unsere Schulden abzubezahlen, seit mein Mann arbeitslos ist - in meinem Job hab ich nur Ärger und keine Anerkennung - ich habe ein Rezidiv meines Brustkrebses – die Sorgen um meine Familie rauben mir den Schlaf. Wie soll ich da danken oder fruchtbar sein? Ich merke tatsächlich nicht, dass Gott mich heilt. Ja, manche Zeiten unseres Lebens sind schwer auszuhalten. Wir können uns da von den Dichtern unserer Choräle etwas abgucken. Die meisten Danklieder im Gesangbuch sind gerade nicht in äußerlich besonders glücklicher Situation entstanden. Danken bedeutet Gott auch dann vertrauen, wenn wir Schweres durchmachen. Eins der bekanntesten Danklieder ist das Lied Nun danket alle Gott. Man könnte meinen, der Dichter wäre ein besonders optimistischer Mann gewesen. Aber das Lied ist im 30jährigen Krieg entstanden. Die Hungersnot war damals so groß, dass 20 bis 30 Leute einem Hund oder einer Katze nachliefen, um sie zu fangen und sie zu schlachten. Trotz alledem sprach Martin Rinckart, der Dichter dieses Liedes, jeden Tag mit seinen Kindern das Gebet: Nun danket alle Gott, der große Dinge tut an allen Enden.

Darum zum Schluss noch mal die Frage: Wo hat Gott dich geheilt, ohne das du es bemerkt hast? Wo ist dir schon mal etwas einfach in den Schoß gefallen, ohne dass du etwas dafür getan, ja vielleicht noch nicht einmal dafür gebetet hattest? Dazu erzähle ich ihnen am Schluss noch ein Beispiel.

Unsere Tochter Nora hatte ihre Wohnung in Hamburg gekündigt und machte ein Sabbatjahr. Sie reiste um die Welt, besuchte Schulen in Tansania, wanderte 500 km von Ruanda nach Uganda für sauberes Trinkwasser, besuchte ein faires Kaffeeprojekt in Nepal und machte Urlaub in Vietnam. Wir sagten ihr: Nora, du musst beizeiten zurückkommen und eine Wohnung in Hamburg suchen. Ich habe vor einigen Jahren mit ihr zusammen dort eine Wohnung gesucht: Da stehen 20 Interessenten bei einem Besichtigungstermin, sie geben Bewerbungsmappen ab mit Lebenslauf und Auskünften zu ihrem Gehalt. Nora und ich sind damals tagelang umhergerannt, es war echt eine Zitterpartie. Also, sagten wir diesmal zu Nora, fang früh genug an mit der Wohnungssuche. Aber Nora war total entspannt. Ich glaube ihr Gottvertrauen ist manchmal größer als meins. In Nepal besuchte Nora Freunde, die sie aus Hamburg kennt und die dort als Missionare arbeiten. Der Mann hatte gleichzeitig Besuch von seiner Schwester aus Hamburg. Die sagte zu Nora: Du, ich ziehe im Sommer aus, willst du meine Wohnung haben? Und tatsächlich, das klappte. Und es ist zudem noch Noras Traumwohnung, zentral gelegen, total gemütlich, mit Balkon, und gute Freunde wohnen gleich um die Ecke.

Gottes helfende Hand ist ausgestreckt für Ephraim, für dich. An seiner Hand hast du die Chance das zu werden, was deine Berufung ist: Doppelt fruchtbar.