Ein neues Kleidungsstück
„Du siehst unverschämt glücklich aus“, sage ich zu einer Freundin. Sie trägt ein leuchtend rotes Kleid. Schon von weitem kann man sie darin sehen. Ich weiß: Sie ist frisch verliebt. Und schon durch ihre Kleidung wird deutlich: Sie sprüht nur so von Leben.
Was wir tragen, ist nicht bloß eine Äußerlichkeit. Kleidung verrät, wer wir sind und wie wir gerade drauf sind. Eher konservativere Menschen würden niemals im Trainingsanzug aus dem Haus gehen. Wer dagegen eher sportlich ist, trägt in seiner Freizeit nicht unbedingt Anzug und Krawatte. In Zeitschriften wird immer wieder darüber spekuliert, was Farben und Muster an der Kleidung über die Psyche eines Menschen verraten. Und manche Trauernde tragen bewusst schwarz, um zu signalisieren: Ich bin in einer Ausnahmesituation. Zugegeben: Man kann mit Kleidung auch spielen und versuchen, jemand zu sein, der man gar nicht ist. „Kleider machen Leute“, heißt es. Aber meistens merkt man doch schnell, ob ein Kleidungsstück zu jemandem passt oder ob es eher peinlich ist.
Der Bibeltext aus dem Epheserbrief legt uns einen Kleidungswechsel ans Herz. „Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch seine trügerischen Begierden zugrunde richtet. Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.“
Einen alten Menschen wie ein Kleidungsstück ausziehen und einen neuen anziehen. Für den Verfasser des Epheserbriefes geschieht das bei der Taufe. Damals wurden ja nur Erwachsene getauft. Bevor sie ins Taufbecken stiegen legten sie ihre Kleider komplett ab. Und wenn sie dann getauft waren, bekamen sie ein weißes, strahlendes Gewand angelegt. Und dieses weiße, strahlende Gewand sollte zeigen: Du bist jetzt ein neuer Mensch geworden. Ein Mensch, dem Gott seine Liebe erklärt hat. Du kannst voller Hoffnung durchs Leben gehen.
Und damit verbunden nun eine Aufforderung: „Zieht den neuen Menschen an.“ Lasst euch immer mehr durchdringen von dieser Liebeserklärung Gottes. Lasst euer Leben von ihr bestimmt sein. Damit sie euch trägt in trüben Tagen. Ja, mehr noch: Damit auch ihr etwas ausstrahlt und andere durch euch erleben, dass sie den Kopf nicht in den Sand stecken müssen. So wie frisch Verliebte in roten Kleidern andere manchmal mitreißen mit ihrem Schwung und ihrer Energie.
Was das konkret heißt, macht unser Predigttext an einigen Beispielen deutlich. Lassen Sie uns ein paar davon näher anschauen. „Legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind.“ Ein ganz aktuelles Thema. Was ist Wahrheit? Was ist Lüge? Von alternativen Fakten spricht US-Präsident Trump und macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt. Und in den sozialen Medien verbreiten Menschen baren Unsinn, aber andere glauben es und lassen sich zum Hass anstacheln. Immer mehr spüren wir, wie sehr das unsere Gesellschaft kaputt macht und spaltet. Zieht den neuen Menschen an, den Gott in euch geschaffen hat, sagt der Epheserbrief. Stellt euch der Lüge entgegen. In der Schule. Bei der Arbeit. Im Gespräch mit Freunden. Setzt euch ein für die Wahrheit. Denn am Ende wird sie sich durchsetzen. Gott behält das letzte Wort. Nicht die vermeintlich mächtigsten Männer der Welt.
Ein weiterer Gedanke: „Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen und gebt nicht dem Teufel Raum.“ Da hat dich jemand verletzt, du bist zutiefst gekränkt und kannst am anderen kein gutes Haar mehr lassen. Auch das vergiftet das Miteinander und macht einen selbst bitter und gallig. „Lasst die Sonne nicht untergehen über eurem Zorn“, sagt der Epheserbrief. Versucht Konflikte zeitnah zu klären, bevor sich die negativen Stimmungen in einer teuflischen Spirale verfestigen. Und dazu gehört auch, ehrlich auf eigene Schuld zu schauen. Wenn es irgendwo kracht, gehören immer zwei dazu. Macht euch bewusst, dass niemand vollkommen ist. Aber Gott sagt trotzdem Ja zu euch.
Und schließlich: „Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Gnade bringt denen, die es hören.“ Faules Geschwätz. Wie schnell kommt uns das über die Lippen! Über andere herziehen. Über andere lästern. Und dahinter steckt meist das Bedürfnis, mir und anderen einzureden: Ich bin anders. Ich kriege die Dinge viel besser geregelt als dieser oder jene. Zieht den neuen Menschen an, das heißt: Macht euch bewusst, dass ihr das gar nicht nötig habt. Andere klein zu machen, um euch selbst größer zu fühlen. Ihr seid schon längst etwas Besonderes. Gottes gute Idee. Mit euren Stärken, aber auch mit euren Schwächen. Das könnte euer Job als Christ oder Christin sein: Anderen zu helfen, ihre Stärken zu entdecken und sie einzusetzen. Zum Wohle aller.
Ein neuer Mensch. Ein neues Kleidungsstück, das zeigt, wer wir sind und was uns bestimmt. Gott hat es uns in der Taufe längst übergestreift. Aber es bleibt die lebenslange Aufgabe, es zurecht zu zuppeln und anzupassen, damit es auch wirklich gut sitzt und richtig zur Geltung kommt. Oder um ein anderes Bild zu benutzen: Es zu hegen und pflegen. Denn auch das schönste Kleidungsstück franst aus, zerknittert oder wirkt verwaschen, wenn es nicht sorgfältig behandelt wird. Bleiben wir unserer Hoffnung auf der Spur, geben wir Gott immer wieder Raum. Vielleicht fallen wir dann so wie meine verliebte Freundin anderen schon von Weitem in den Blick, als Einzelne, aber auch als Gemeinde. Und versprühen etwas von dem Leben, das Gott uns schenkt. Amen.